Film, Kontroverse, Aufbruch – wie Praunheim Kontroversen auslöste
- Queermap
- 13. Juni 2019
- 3 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 10. Juli 2019
„Nicht der Homosexuelle ist pervers sondern die Situation in der er lebt“, so hieß der Film des schwulen Regisseurs Rosa von Praunheim. Nach der Deutschlandpremiere in Berlin im Sommer 1971 zeigte das Münchner Kino Gloria-Palast am 17. Dezember 1971 den Film erstmals in der bayrischen Landeshauptstadt. Die Film löste eine öffentliche Kontroverse aus, die in ganz Deutschland zur Formierung von Homosexuellenbewegungen führte. Ganz nach dem Motto des Films: „Werde stolz auf deine Homosexualität!“.

Kritik aus der homosexuellen Gemeinschaft
Der von dem Westdeutschen Rundfunk bei der Produktionsfirma Bavariafilm in Auftrag gegeben Film spielt in Berlin und handelt von Daniel und seinem Leben als Homosexueller.
Ziel des Regisseurs war es die, so wörtlich, „beschissene“ Situation der Schwulen schonungslos aufzudecken und keinesfalls sie zu bemitleiden. Dies wird gleich zu Beginn des Film durch den radikalen und geradezu provozierenden Voice-Over klar:
"Da die Schwulen vom Spießer als krank und minderwertig verachtet werden, versuchen sie noch spießiger zu werden, um ihr Schuldgefühl abzutragen mit einem Übermaß an bürgerlichen Tugenden. Sie sind politisch passiv und verhalten sich konservativ als Dank dafür, dass sie nicht totgeschlagen werden. Schwule schämen sich ihrer Veranlagung, denn man hat ihnen in jahrhundertelanger christlicher Erziehung eingeprägt, was für Säue sie sind. Deshalb flüchten sie weit weg von dieser grausamen Realität in die romantische Welt des Kitsches und der Ideale. Ihre Träume sind Illustrierten Träume, Träume von einem Menschen, an dessen Seite sie aus den Widrigkeiten des Alltags entlassen werden in eine Welt, die nur aus Liebe und Romantik besteht. Nicht die Homosexuellen sind pervers, sondern die Situation, in der sie zu leben haben".
An dieser Passage erkennt man, dass der Film an manchen Stellen gar aggressiv und das vor allem gegenüber den Homosexuellen selbst. Praunheim verarbeitet mit ihm seine Wut darüber, dass viele Homosexuelle, mehr als 2 Jahre nach der Liberalisierung des Paragraphen 175 (fortan wurde das Totalverbot von Homosexualität unter Männern nicht mehr strafbar), immer noch nicht „von denen die volle Freiheit fordern, die gerade erst bereit waren, sie widerwillig aus dem Bannkreis der Kriminalität zu entlassen". Er wirft Homosexuellen ihre Trägheit und Spießbürgerlichkeit vor. Er fordert von ihnen für ihre Rechte einzustehen und sich aktiv politisch zu engagieren anstatt sich, so Praunheim, nur mit Mode und Sex zu beschäftigen.
Daher kritisierten auch viele Homosexuelle den Film und dessen Klischeehaftigkeit. Die Szene warf Praunheim vor sie nicht ausreichend in Schutz zu nehmen. Nur eine Minderheit stellte sich hinter den Regisseur. Und dennoch weiß man aus heutiger Sicht, dass der Film ein Startschuss für deutschlandweite Homosexuellenbewegungen war wie beispielsweise die HAM in München (mehr zu diesem Thema in unserem Artikel über die HAM)
Ausstrahlung im Fernsehen
Nachdem der Film nach der Uraufführung bei den Filmfestspielen in Berlin eine öffentliche Kontroverse ausgelöst hatte lehnte die ARD-Programmkonferenz die Ausstrahlung des Films im Herbst 1971 im ersten deutschen Programm ab. Der WDR zeigte so als einziges deutschen Programm den Film am 31. Januar 1972 erstmals im deutschen Fernsehen. Um das negative Echo aufzufangen wurden für diesen Abend vorsorglich sogar der Telefonservice in der WDR-Zentral verstärkt.
Erst ein Jahr später, am 15. Januar 1973, erfolgt die erste bundesweite Ausstrahlung des Films durch die ARD, allerdings klinkte sich der Bayerische Rundfunk als einziger Sender aus dem Programm aus. Die Ausstrahlung und die danach angesetzte Diskussionsrunde erfreuten sich überdurchschnittlich hoher Einschaltquoten. Dennoch war die Kontroverse weiterhin groß. Während viele den Film als Rundfunkgebühren finanzierten Sittenverfall kritisierten, sahen Teile in ihm eine Befreiungsschlag. Einerseits löste der Film in der gesamten Bundesrepublik starke homophobe Reaktionen hervor andererseits war ein essentieller Bestandteil des Aufbruchs der deutschen Gay-Community hin zu mehr Liberalisierung, Emanzipation und Gleichberechtigung. So hat Praunheim durch die von ihm ausgelöste öffentliche Kontroverse genau das erreicht was er bewegte wollte: „Werdet stolz auf eure Homosexualität! Raus aus den Toiletten, rein in die Straßen! Freiheit für die Schwulen“
Was meint ihr? Habt ihr den Film schon gesehen und schätzt seine Wirkung auch derart stark ein? Wir freuen uns auf eure Meinungen!
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