top of page
Interview mit Dietmar Holzapfel

Dietmar Holzapfel hat alles hautnah miterlebt- Über die Anfänge der Queer-Szene in München: Ein Interview mit dem Besitzer der Deutschen Eiche

 

Die Deutsche Eiche - eines der ältesten Gaststätten in München.
Und ein Symbol für die Queer-Szene.
Hier trafen sich bereits in den 50er Jahren homosexuelle Tänzer und
mittlerweile gilt es immer noch als einer der Treffpunkte für die schwul-
lesbische Szene, jetzt in Form eines Restaurants, Hotels, und Sauna.


Ein Ort, das so viele Erinnerungen festhält, und vor allem:
Die Queer-Szene in München mitgestaltet hat. Und wir (Elli und ich) hatten
das große Vergnügen, ein Interview mit dem Besitzer der Deutschen
Eiche zu führen: Dietmar Holzapfel, der 1993 mit Josef Sattler Eigentümer
der Gaststätte wurde. 

Von außen und innen macht die Gasstätte einen ganz netten und gemütlichen Eindruck. Über dem Eingang hängt eine Regenbogen-Flagge, im Gang zur lila beleuchteten Rezeption des Hotels findet man Broschüre und Magazins zu allem rund um die LGBTIQ-Community.
Aber vor allem von der Dachterrasse waren wir sehr beeindruckt. Ein schöner Blick über die Dächer Münchens - der perfekte Spot für ein Gespräch an einem sonnigen Nachmittag - also der perfekte Spot für unser Interview mit Herrn Holzapfel. Gewappnet mit einem kalten Glas Zitronenwasser konnte es losgehen.

Als wir ihm den Hintergrund zu unserem Projekt erklärten, fing er auch schon an, zu erzählen:

„Ich bin ja erst so ab 93‘ in die Szene als Wort eingestiegen, aber mein Vater hat vorher schon in der Gastronomie hier gearbeitet und hat viele Lokale aufgemacht, zum Beispiel das Alibaba. Das war das erste Lokal in der Augsburger Straße, wo man tanzen durfte, wo Männer miteinander tanzen durften.“
Er erklärte uns weiter, wie es darauf eine Anzeige gab, wie jedoch trotzdem das Tanzrecht der Männer durchgesetzt wurde. Und das ist auch nicht allzu lange her, wir sprechen hier von den 60er Jahren.
Apropos Tanzen: Für Dietmar Holzapfel war in seiner Studienzeit die Disco „Jeans“ „der Ort der Befreiung“, wo er abends gerne zum Tanzen hingegangen ist.


Queermap: An sich war 1969 in New York dieser krasse Befreiungsstand mit den 5-Tages-Protesten. Gabs sowas in München?

Dietmar: Ja, es gab die Schwabinger Krawalle, die waren ja auch in der Zeit. Die haben sich aber allgemein auf die Gesellschaft bezogen.
Das war die 96er Generation. Da gehört Fassbinder dazu, da gehört alles Mögliche dazu, wo man verkrustete Strukturen aufgebrochen hat, wo Sexualität allmählich befreit wurde. Wobei, wir hatten noch Aufklärungsfilme namens Helga, da kam Homosexualität überhaupt nicht vor. So frei war es dann doch nicht. Aber ich habs nachgelesen, vom Fassbinder, der hats schon richtig Krachen lassen, der hat sich auch nichts sagen lassen.

Queermap: Weil wir jetzt gerade bei Akteuren sind: Gibts Akteure, wo Sie sagen: Das sind doch für München die Leute, die für die LGBTI-Szene viel erkämpft haben, oder die Vorreiter waren?

Dietmar: Ja da gehört schon mein Adoptivvater dazu, der Niki, er hat auch sehr viele Lokale hier eröffnet, die zu dieser Szene gehörten. Da hat er auch für diese Szene ein gewisses Ansehen gekriegt. Der Siniburg, war damals der Manager der Josephine Baker, und hat sie zu meinem Vater ins Lokal gebracht. Das war ein toller Typ, der hatte noch lange einen Klamottenladen in der Lindwurmstraße gehabt. Er hat auch viel zur Szene beigetragen, es gab schon etliche, die da sehr engagiert waren.

Queermap: Wissen Sie von Schwierigkeiten, von denen Ihr Vater Ihnen erzählt hat? Stolpersteine, die Ihnen in den Weg gelegt wurden, von städtischer oder politischer Seite?

Dietmar: Das Einzige was ich weiß ist damals das Tanzverbot, aber wir hatten dann natürlich auch miterlebt, wie die Szene am Sterben war, als Mitte der 80er Jahre AIDS nach München kam.
Und dann hatten wir hier einen Kreisverwaltungsreferenten, Doktor Peter Gauweiler. Der hat dann einen Maßnahmenkatalog entworfen, der unter anderem vorsah, Homosexuelle zu kasernieren. Das ist natürlich schon krass, da sind die Leute auch nicht mehr ausgegangen. Dann ist man auch nicht mehr an Orte gegangen, die eindeutig definiert waren.
„Wer in die Deutsche Eiche geht, ist schwul, wer schwul ist, hat AIDS.“ So war die Kurzschlussgeschichte.

Dietmar erzählte uns auch davon, wie er und sein Mann aus der Angst, dass ihr Badehaus auch geschlossen werden würde, Hans-Peter-Uhl anschrieben.

Dietmar: Dann habe ich dem Uhl einen Brief geschrieben, und hab gesagt, wir öffnen demnächst einen Klub. Und dann hat er zurückgeschrieben, und wir hatten nie Probleme. Und ich hab ihn neulich mal getroffen, 13 Jahre später, da haben wir den ersten schwulen Maibaum am Karl-Heinrich- Ulrichs- Platz gemacht.

Da traf Herr Holzapfel Uhl wieder und Uhl hatte sich an den Brief, den Dietmar vor Jahren geschickt hatte, noch erinnert.


Queermap: Also kann man quasi zusammenfassen, dass die kommunale Politik einen da nicht so viele Steine in den Weg legt?

Dietmar: Sobald ich das beurteilen kann, war es hauptsächlich die Ära unter Christian Ude. Der war einer der ersten, der sich als Schirmherr bereitgestellt hat. Und das war innerhalb von Deutschland bahnbrechend, also dass ein Oberbürgermeister sagt: „Ich bin Schirmherr von Christopher Street Day.“ Das hat damals noch keiner gemacht. Der ist ja vorne mit marschiert. Und da hat er dann auch einstecken müssen.
Das fand ich immer sehr couragiert von ihm, dass er das trotzdem gemacht hat. Dann hat es dadurch auch eine gesellschaftliche Anerkennung gegeben.

Queermap: Was würden Sie persönlich sagen, was haben Orte dazu beigetragen, dass sich eine Queer-Szene entwickeln kann und konnte?

Dietmar: Man braucht ja Punkte, wo man sich treffen kann. Und die müssen ja auch ein bisschen attraktiv sein. Ich weiß noch als ich nach München kam, gab es die homosexuelle Teestube. Und da hat es nach Öl gestunken, und dann waren das lauter langhaarige Studenten der linken Szene. Da bin ich nie mehr hingegangen, ich finde Orte müssen auch ansprechend sein.
Das sieht man ja auch hier an der Dachterrasse, hier kommen alle daher. Es ist wichtig, dass es solche Orte gibt, und auch eine gewisse Verlässlichkeit. Also, dass es den Ort länger gibt und nicht jedes Jahr Ort wechselt.

Queermap: Ist es hier in München ein Problem, dass Orte nicht lange bleiben, oder dass da viel Durchwechsel war?

Dietmar: Sagen wir mal so, unsers ist das älteste noch immer existierende Lokal. Du kannst natürlich Pech haben, dass die Miete angehoben wird und dann schaffst du es halt nicht mehr.
Wenn du lange an einem Ort bist, hast du halt ein Netzwerk in der Umgebung. Man muss dann immer gegenseitig unterschreiben wenn man was plant. Da haben wir nie Probleme gehabt.
Wir hatten das vor ein paar Jahren, dass sich die LSU (Lesben und Schwule in der Union) immer bei uns traf. Sie haben uns gefragt, ob wir sie unterstützen können und dann haben wir das gemacht. Was meinst du was es da für einen Shitstorm gab. „Wir könnt ihr die CSU unterstützen, die Jahrzehnte gegen uns gekämpft hat.“ Bis heute gibt es alte Aktivisten, die uns das bis heute verübeln.
Aber wir sind der Meinung, dass man auch eine Partei wie die CSU nur von innen heraus verändern kann.
Also so viel dazu, dass die sich auch hier trafen, wir sind schon ein Ort wo man, natürlich auch gemütlich zusammen sitzen kann, und auch ein bisschen diskutieren kann, die politische Seite war uns auch schon immer sehr wichtig.

Queermap: Noch eine letzte Frage zum Theme Orte: Sie sind 1976 hierher gekommen, was waren Ihre Lieblingsorte?

Dietmar: Das war die Türkensauna. Ich bin in Ingolstadt aufgewachsen und habe meine ganze Jugend lang meine Sexualität unterdrücken müssen und war eher ein Selbstmordkandidat. Und dann kommst du nach München, und da bist du als junger Mann natürlich begehrt wie sonst was gewesen. Und das war im Nachhinein betrachtet ganz schlecht eingerichtet mit Teppich im Nassbereich, furchtbar! Aber für uns damals war das natürlich das El Dorado. Das Paradies auf Erden.
Und dann gab es das Jeans. Das war eine richtig geile Disco, das hat Spaß gemacht.

Queermap: Gibt es eine Geschichte von Ihrem Adoptivvater, die er Ihnen mal erzählt hat, die Ihnen besonders in Erinnerung geblieben ist?

Dietmar: Das it natürlich einmal die Geschichte mit dem Tanzverbot, mit dem Anwalt Bossi. Das hat mich immer sehr stark beeindruckt. Dann natürlich die Josephine Baker Geschichte, da war er wahnsinnig stolz drauf. (Sie war in seinem Lokal zu Besuch)
Dann hat er im Laufe seines Lebens etwa 30 Lokale aufgemacht, weitervermietet und so weiter.
Aber er hat auch viel zur Anerkennung der Schwulen und Lesben in der Gesellschaft beigetragen, weil er auch gut vernetzt war. Es kamen viele zu Besuch, die auch nicht schwul waren, aber eine gewisse Geltung in der Stadt hatten. Und das hat viel beigetragen, das machen wie jetzt auch nicht anders.

Queermap: Man könnte also eigentlich sagen, dass die Anerkennung in München dadurch gekommen ist, dass man prominente Personen hatte, die in der Stadt viel Achtung hatten und auch bekannt waren? Und dass sie sich zum Beispiel an den Hotspots aufgehalten haben und es dadurch mehr in die Gesellschaft integriert wurde?

Dietmar: Kann man wohl so sagen. Also wir haben natürlich auch sehr viele Hetero-Kollegen, die Wiesenwirte fast alle. Die kommen alle zu uns, oder wir haben sie eingeladen, dann waren wir bei ihnen eingeladen, dann tauscht man sich aus.
Man trifft sich dann auch bei Einladungen, sei es jetzt von der SPD oder CSU. Und dann sehen die anderen auch, dass wir integriert sind und als Vertreter der Szene da. Und das hat bestimmt auch viel beigetragen.
Unten liegt ein Heft vom Zeitmagazin. Wenn man das mal geschafft hat, auf der Titelseite zu sein und dann ein Bericht mit 12 Seiten, das hat uns wahnsinnig viel Ansehen gebracht.
Sowas fördert es auch, dass man immer bekannter wird und dann wirkt sich das auch auf die Anerkennung der Szene insgesamt aus.

Queermap: In den 80ern war München die viertwichtigste Stadt Europas, in der Schwulenszene. Was hat sich denn seitdem verändert? Was war damals anders als heute?

Dietmar: Da gab es ja insgesamt nicht so viele Zentren in der Welt. Was gabs da? Es gab Los Angeles, San Francisco, New York, Paris, Berlin, Chicago. Da gehörte München schon auch dazu. Insgesamt gab es nicht so viele Zentren, wo die Leute dann auch hingezogen sind, wo eine Szene sich entwickeln konnte. Selbst im Osten, in Jugoslawien, in Griechenland, gibt es Szenen, und da nimmt die Bedeutung der damaligen Kapitale ab. Das verändert sich halt einfach.

Queermap: Aber bezogen auf München, was hat sich da verändert? Wie wurde München damals zum Zentrum?

Dietmar: Ja, das ist vielleicht auch ein bisschen schöngeredet. Ich weiß es nicht, ich war da am Studieren, die Szene war da schon irgendwo präsent, aber so großartig war es dann auch nicht. Es gab schon internationale Beziehungen mit Chicago zum Beispiel.

Queermap: Also Sie würden da jetzt nicht sagen, dass das seit den 80ern abgenommen hat?

Dietmar: Nein. Im Gegenteil. Heute können doch viel mehr Leute offen homosexuell leben.

Queermap: Das auf jeden Fall. Aber wie ist das mit dem Stadtbild? Wie sich die Einrichtungen verändert haben?

Dietmar: Wo man reingeht ins Lokal, sind links und rechts Glasbilder. Die waren früher in den Fenstern, damit man nicht hineinschauen kann. Ein gewisser Schutzraum, den braucht heute keiner mehr. Wenn jemand schwul ist, der geht genauso gut zum Italiener gegenüber, weil er grad da drauf Appetit hat. Diese Schutzfunktion der Szene, die braucht es heute eigentlich nicht mehr. Höchstens in der Sauna, das Badehaus ist nach wie vor ein Schutzraum.

​

Queermap: Wann war denn Ihr erster CSD und was ist Ihre Erinnerung daran?

Dietmar: Das weiß ich gar nicht mehr so genau, aber einmal haben wir einen Papamobil gebaut, als Ratzinger Papst geworden ist. Und dann hatten wir ein Verfahren eingebracht, wegen Verunglimpfung eines ausländischen Staatsoberhauptes, das war 2006.
Dann hatten wir 2008 einen Wagen mit einem Galgen, wo zwei Iraner dranhingen, als Bild. Und dann haben wir dagegen protestiert, das wärmen wir diese Jahr wieder auf, das Thema. „Boykottiert homophobe Länder.“ Das ist unsere Überschrift.
Wir hatten natürlich die Kirche auf dem Visier, die schwierigen Bischöfe mit ihren Aussagen. Wir haben versucht immer ein bisschen Politik mit ins Spiel zu bringen. Wir hatten dann auch mal einen Wagen mit lauter Tieren, homosexuelle Tiere, also zwei Löwen mit Mähne, um zu zeigen, das gibt es in der Tierwelt auch.
Und das ist nicht eine Sache der Entscheidung, du bist es halt.
Wir haben uns immer viel einfallen lassen und viel Mühe gemacht.

Dietmar zählte uns auch die Top- Bars auf, die es auch zu Hochzeiten in den 80ern gab: NY.Club, Old Ms. Henderson, Jeans, City Lights, Soul City.

Unsere Diskussion führte uns außerdem noch bis zum ersten CSD in Tokyo, den er miterlebt hat. Dietmar hat also vieles erlebt, und wir freuen uns darüber, dass wir ein paar seiner Erinnerungen teilen können.

Screenshot 2019-07-17 at 11.30.35.png

©2019 by queermap.muc. Proudly created with Wix.com

bottom of page